„Gemeinsame Wunder”
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Kurzbeschreibung:
Das Tool setzt die sogenannte „Wunderfrage“ des klassisch lösungsfokussierten Ansatzes in das Setting der Teamsupervision um.
Es ermöglicht die gemeinsame Entwicklung positiver Ziel- und Zukunftsvorstellungen bei bestehenden Anforderungen oder Schwierigkeiten des Teams und führt zur Erarbeitung sinnvoller erster Handlungsentwürfe.
Dabei wird eine strukturierte weiterführende Bearbeitungsmöglichkeit angeboten, nachdem die eigentliche „Wunderfrage“ gestellt wurde.
Die Wunderfrage selbst wird detailliert vorgestellt und einige ihrer wesentlichen Elemente kurz diskutiert.
Anwendungsbereiche:
Supervision in Teams beliebiger Größe bei Beschwerden über Zwänge, Stress, Trübsal, Anforderungen und Belastungen.
Ab einer Teamgröße von ca.12 Personen können Teilschritte der Bearbeitung in Kleingruppen delegiert und die Ergebnisse im Plenum zusammengetragen werden.
Das Tool gestaltet einen Übergang von Problembeschreibungen zur Erarbeitung möglicher Lösungsansätze oder Vorgehensweisen. Vor allem bei einer Tendenz zum Verharren in Problemschilderungen und Klagen über widrige Umstände eignen sich „gemeinsame Wunder“, um einen alternativen Diskurs in Gang zu bringen, Zielvorstellungen zu entwickeln und Motivation für das Ausprobieren neuer Verhaltensweisen aufzubauen.
Das Tool eignet sich weniger gut bei Konflikten oder Schwierigkeiten innerhalb des Teams.
Zielsetzung/Effekte:
Das Tool birgt gute Chancen, Teams ins Handeln zu bringen, die sich zuvor eher passiv oder (an)klagend gegenüber Schwierigkeiten verhalten haben. Es bietet u. A. eine günstige Vorlage, um nachfolgende Supervisionssitzungen mit einer Erkundung von Gelingendem oder Gelungenem zu beginnen („Wie haben Sie das geschafft?“) und damit weiter Ressourcenaufbau in den Teams zu betreiben.
Ausführliche Beschreibung:
Das Tool kommt zum Einsatz, wenn sich in der Einstiegs- oder Themenfindungsphase Belastungen, Anforderungen oder Schwierigkeiten zeigen, die das Team insgesamt oder zumindest viele seiner Mitglieder betreffen.
1.) Problembeschreibung: eine Vorbereitung der Wunderfrage
Voraussetzung für den supervisorischen Gewinn aus der Wunderfrage ist ein zuvor erfolgter Diskurs über das Schwierige, allerdings nicht im Sinne einer Fakten- und Ursachen-Analyse, sondern eher im Sinne des empathischen Verstehens. Der später anschließende Schritt zu positiven Zukunftsvorstellungen gelingt wesentlich leichter, wenn zunächst eine ausreichende Würdigung der mit den Schwierigkeiten verbundenen Sorgen, Belastungen und Empfindungen erfolgt ist.
Die Einleitungsfrage für die Problembeschreibung betont daher das Erleben und richtet sich allgemein an das Team, z.B.:
„Bitte erzählen Sie etwas darüber, worum es (bei dieser Sache) geht, was Sie da beschäftigt oder wie das für Sie ist“.
Die Problemschilderungen werden deutlich gewürdigt, („…verstehe…nicht einfach!…ganz schön anstrengend“, usw.), aber nicht ausführlicher kommentiert oder untersucht. Das Verständnis des Supervisors ist hier wesentlicher als sein Verstehen.
Abhängig von Zeitbudget und Teamgröße kommen möglichst viele Supervisanden in dieser Weise zügig zu Wort.
Die Problembeschreibung wird dem Zweck angemessen („Verständnis“) begrenzt: soviel (problem-talk) wie nötig, so wenig wie möglich.
Sobald der Supervisor den Eindruck hat, dass sich das Team insgesamt ausreichend verstanden fühlt, folgt der nächste Bearbeitungsschritt.
2.) Das Wunder
Für die „Wunderfrage“ empfiehlt sich ein eher langsamer Sprachduktus und ein etwas eindringlicher, sozusagen „hypnotischer“ Ton bei der Formulierung, für die ich z.B. vorschlage:
„Ich möchte Ihnen allen gerne eine etwas seltsame Frage stellen, die nicht ganz einfach ist und einiges an Vorstellungskraft erfordert. Nehmen wir einmal an, wir haben hier heute eine nützliche Supervisionssitzung. Später gehen Sie zurück an Ihre Arbeit oder nach Hause oder wohin-auch-immer und tun, was Sie sonst auch tun, so ganz normal.Irgendwann heute Abend gehen Sie dann ins Bett und Sie schlafen. (kurze Sprechpause)
Und während Sie schlafen geschieht ein Wunder, und die Schwierigkeiten über die wir soeben gesprochen haben sind weg – einfach so! (Sprechpause)
Morgen früh wachen Sie auf. Natürlich wissen Sie da noch nicht, dass das Wunder geschehen ist, weil Sie ja geschlafen haben. Was fällt Ihnen wohl als Erstes am Verhalten des Teams auf, das Sie stutzig macht und Sie auf die Idee bringt: was ist bloß los mit uns, ist da etwa ein Wunder geschehen?“
Diese eher lange Frage folgt einem allmählichen Aufbau von mehreren wesentlichen Elementen, die ich mit Hinblick auf den supervisorischen Ertrag gerne etwas detaillierter aufgreifen möchte:
– „seltsam…, nicht ganz einfach…, erfordert Vorstellungskraft“: diese einleitenden Elemente bauen ein wenig Spannung auf, bereiten auf die kommende Vorstellungsarbeit vor und erhöhen die Akzeptanz für den – in der Tat ja seltsamen – eigentlichen Kulminationspunkt der Frage, das Wunder.
– „…und tun, was Sie sonst auch tun“: hier wird ein Kontext von Alltag für das sogenannte Wunder konstruiert, das ja keineswegs göttlicher Natur ist, sondern im Gegenteil aus machbaren, „ganz normalen“ (aber alternativen) Handlungsweisen der Teammitglieder besteht, die es in der Folge zu entdecken gilt.
– „…die Schwierigkeiten über die wir soeben gesprochen haben sind weg“. Hier wird bewusst auf eine thematische Benennung des Problems durch den Supervisor verzichtet, um Spielraum für individuelle Bedeutungszuschreibungen zu bieten: Worin genau das Problem für das jeweilige Teammitglied besteht, wird offen gelassen und durch eine allgemeine „passe-partout“-Formulierung ersetzt.
– das Wunder tritt zunächst unbemerkt ein, während die Supervisanden schlafen. Erst im Nachhinein wird entdeckt, dass sich etwas verändert hat. Um die „Entdeckungsfreude“ der Supervisanden zu steigern lohnt es sich, auf dieses Element begründend hinzuweisen, bevor man zum Kernpunkt der Frage kommt: „… Sie wachen auf…und Sie wissen noch nicht, dass das Wunder geschehen ist, weil Sie ja geschlafen haben…“.
– „was fällt Ihnen am Verhalten des Teams auf“: Dieses Element lenkt den Fokus möglichst eng auf das Verhalten des Teams selbst und nicht auf Veränderungen allgemeiner Art oder im Verhalten von Team-externen Akteuren. Der häufig anzutreffenden Tendenz, die Potenziale für Veränderung vor allem außerhalb des Teams zu suchen (etwa bei Vorgesetzten, den Umständen, den Kooperationspartnern) wird dadurch ausdrücklich vorgebeugt.
3.) Ausweitung des Wunders
Wie in der Problembeschreibung geht es bei der Sammlung von Antworten auf die Wunderfrage eher um lebendige Beteiligung und Vielfalt, als um faktische Details. Die Aufgabe des Supervisors besteht im Wesentlichen darin, den gemeinsamen Prozess der Produktion von Vorstellungen zu unterstützen und auszuweiten. So kann z.B. der einzelne Beitrag zunächst aktiv gewürdigt werden („Aha, sehr schön… genau!… wunderbar…, usw.), um dann mit Blick in die Runde und der Frage „Was noch?“ zum nächsten Beitrag einzuladen. Die unterschiedlichsten, vielleicht auch kontroversen Ideen werden auf diese Weise allparteilich neben einander gestellt.
Der Akzent liegt dabei allerdings immer auf der Handlung. Besonders bei Schilderungen von Zustandsveränderungen („wir wären entspannter“), sollte der Supervisor eine konkretisierende Übersetzung in Verhaltensbeschreibungen anregen: „Wenn sie entspannter sind, was machen Sie dann anders? Woran merkt man das?“.
Nachdem der Fokus eine Weile auf Verhaltensänderungen gehalten wurde, die den Supervisanden selbst nach dem Wunder am Team auffallen, erfolgt ein Wechsel in die zirkuläre Perspektive:
„In der Zeit nach dem Wunder – was fällt wohl Anderen, die heute nicht hier sind, am Verhalten des Teams auf?“
Wer diese Anderen sind, bleibt im Idealfall dem Team selbst überlassen. Manchmal ist es aber hilfreich, an dieser Stelle relevante Beteiligte des Problemgeschehens direkt zu benennen, z.B. weil sie in den Problembeschreibungen als bedeutsam aufgetaucht sind.
Bei größeren Teams über 12 Personen kann dieser Bearbeitungsschritt auch in Kleingruppen delegiert werden, die ihre Ergebnisse anschließend im Plenum vorstellen (Moderationskarten, Flipchart).
4.) Ausnahmen-Erkundung
„Bitte erzählen Sie etwas darüber wie es war, als das Team einmal ein kleines bisschen Richtung Wunder ging…“
Die Frage richtet sich an Alle und ist bewusst eher als Aufforderung (zum Erzählen) und etwas unscharf formuliert, um möglichst „freie“ Suchprozesse und Ideenproduktion zu fördern. Der Supervisor geht dabei einfach davon aus, dass es in der Geschichte des Teams bereits Komponenten des „Verhaltens nach dem Wunder“ oder Elemente der Lösungsvorstellungen gegeben hat. Geschlossene Fragestellungen eignen sich für die Ausnahmen-Erkundung daher weniger (ungünstig z.B.: „Wann ging es mal ein kleines bisschen Richtung Wunder?“ Mögliche Antwort: „Noch nie…“).
Die Nennungen von Ausnahmen werden kurz darauf hin untersucht, wie sie zu Stande gekommen sind, etwa: „Wie haben Sie das geschafft? Wer aus dem Team hat was dazu beigetragen?“
Bei großen Teams kann die Bearbeitung der Frage in den zuvor gebildeten Kleingruppen erfolgen, mit anschließender Präsentation im Plenum.
5.) Fortschritts-Skalierung und individueller Beitrag
„Wenn Sie sich jetzt bitte einmal eine Skala vorstellen, von 0 bis 10. 0 misst dabei die Schwierigkeiten in ihrem allerschlimmsten Zustand, 10 wäre die Zeit nach dem Wunder. Wo auf dieser Skala stehen Siejetzt? Bitte merken oder notieren Sie sich diese Zahl …(kurze Bearbeitungspause)… jetzt lade ich Sie ein, im Gespräch mit Ihrem Nachbarn kurz zu überlegen, welchen spezifischen Beitrag Sie in der nächsten Zeit erbringen könnten – sei er auch noch so klein – damit das Team auf der Skala ein wenig weiter kommt in Richtung Wunder. Nennen Sie bitte einfach alles, was Ihnen einfällt, was Sie dann in der Folge tatsächlich machen, sei zunächst dahingestellt.“
Anschließend gehen die Supervisand*innen für einige Minuten in „Murmelgruppen“ zu zweit oder dritt, um die jeweiligen Ideen auszutauschen. Im Plenum wird darüber bewusst nicht weiter gesprochen, um maximale Handlungsspielräume für den einzelnen Supervisanden zu erhalten. Es geht um Möglichkeiten, nicht Festlegungen.
6.) Handlungsentwürfe
Nachdem die Phase der „Murmelgruppen“ vom Supervisor sanft beendet wurde („Sie sollten allmählich zum Schluss kommen…“), erfolgt eher beiläufig eine wertschätzende Rückmeldung, z.B. : „Ich möchte übrigens auch einmal erwähnen, dass ich hier Einiges an Einsatzfreude, Engagement und Ideenreichtum zu sehen bekomme. Sehr schön!“
„Was könnte das Team denn vielleicht einmal ausprobieren in der nächsten Zeit? Alles, was Ihnen einfällt, ist willkommen!“
Die von den Teammitgliedern geäußerten Vorschläge werden am Flipchart oder mit Moderations-Kärtchen in Stichworten gesammelt, jeder einzelne wird ausdrücklich bejaht („Genau! Das wäre eine Möglichkeit“…“Sehr schön“…“„auch das“… usw.), aber nicht weitergehend kommentiert oder vertieft. Es genügt im Prinzip, dass sich ein „Möglichkeitsraum“ von mehreren Optionen eröffnet, um das Tool abzuschließen.
Je nach Zeitbudget und Größe des Teams kann aber natürlich auch eine dedizierte Auswahl der Handlungsentwürfe erfolgen, etwa indem die gesammelten Vorschläge vom Team gepunktet werden.
Voraussetzungen/Kenntnisse:
Das Vorgehen ist einfach, aber nicht ganz leicht: manche Bearbeitungs-Schritte sollten in passender Weise zeitlich begrenzt (z.B. Problembeschreibung) oder in den Formulierungen sorgfältig (z.B. Wunderfrage) gestaltet werden, um das volle Potenzial des Tools zu entfalten. Eine solide lösungsorientierte Grundhaltung und Prozessvertrauen sind hilfreich.
Kommentar/Erfahrungen:
Das Tool macht Spaß, indem es spielerische Elemente und Leichtigkeit auch in scheinbar „verfahrene“ Situationen bringt. Bei entsprechend authentischer Würdigung der Schwierigkeiten und Verständnis des Supervisors wird es von den Teams im Allgemeinen gut angenommen.
Quellen / Literaturangaben
systemisch.de – online systemisch bilden
Mehlmann, Ralf u. Röse, Oliver (2000): Das LOT-Prinzip. Lösungsorientierte Kommunikation im Coaching mit Teams und in Organisationen. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht
Technische Hinweise:
keine speziellen, bei großen Teams evtl. Flipchart; Moderations-Kärtchen